Archiv des Autors: maggi

Die Bahn redet vom Wetter – wir auch

"Alle reden vom Wetter – wir nicht". So ein Slogan auf einem DB-Poster aus den Siebzigern. Offensichtlich sind die Zeiten vorbei. Laut Sponline solle jetzt jedes Mal, wenn der Wind doller als Stärke Acht weht, der Hauptbahnhof geschlossen werden.

Menschenskinder, das gibt doch nur wieder Futter für die Altwestberliner: "Hättense mal gleich Zoo jelassn".

Update: Ich hab es ja gesagt

Den Schuss gehört

Heute in der Tagesschau:

"… Murat Kurnaz vor dem Untersuchungsschuss aus- … äh Untersuchungsausschuss aussagte …"

Schönes Ding. Nach der U-Haft führt Deutschland jetzt den finalen U-Schuss ein. 

Sturmblogging

Kyrill Da sitzen noch andere im Auge des Orkans und bloggen sich die Seele aus dem Leib, da darf ich nicht zurückstehen. Solange wir noch Strom und Telefon haben, wird mit brutalstmöglicher Aufklärungsbereitschaft berichtet.

13 Uhr 10

So. Die letzten Gäste sind verabschiedet, sämtliches Kinderspielzeug und die Mülltonne im Gartenhäuschen verstaut, die Gartenmöbel versperren den Hausflur. Zeit, die wertvollen Checklisten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe noch einmal in Ruhe durchzugehen.

  • Alle zu Hause? Nein, denn als Bildungsbürger haben wir unseren Ältesten natürlich trotz Warnungen in die Schule geschickt, Tochter Nummer Eins kommt mit Opa vom Kindergarten (bei dem Mistwetter setze ich mich doch nicht in den Bus :-).
  • Kerzen und Zündhölzer? Alles von Weihnachten noch reichlich vorhanden.
  • Radios mit Batteriebetrieb? (Und New-Wave-Musik am Ohr). Mal schauen, mein alter MP3-Player müsste noch gehen. Wenn ich ihn nur fände.
  • Ein netzunabhängiges Kochgerät? Unser Herd ist noch älteren Datums und hat keine IP-Adresse. Ach so, die meinen Stromnetz! Der gute alte Trangia-Sturmkocher sollte reichen, Spiritus ist noch da.
  • Mineralwasser und Konserven? Mist, wir hätten den Sprudelbereiter nicht anschaffen sollen.
  • Decken und/oder Ofen? Wenn die Heizung ausfällt, werden wir einfach das Parkett im Wohnzimmer rausreißen und in der Küche ein kleines Lagerfeuer machen. Die Kinder werden begeistert sein. Oder wir gehen zu Freunden um die Ecke, die haben einen Kamin.

13 Uhr 30

Gerade kam eine Mail der Dekanin unseres Fachbereichs herein – alle Mitarbeiter dürfen sich freuen, denn heute ist sturmfrei!

Liebe Mitglieder des Fachbereichs,

aufgrund der heutigen Sturmwarnung wird allen Mitgliedern des
Fachbereichs empfohlen, bis 14 Uhr nach Hause zu gehen, um sicher heim zu kommen.

Es besteht heute Nachmittag keine Pflicht, Veranstaltungen durchzuführen bzw. daran teilzunehmen.

13 Uhr 35

Falls noch jemand mitliest: Welche Lieder, die von Stürmen handeln, fallen euch denn so ein? Ich bin ja so retro, dass mir die ganze Zeit „Waiting for the Hurricane“ von Chris de Burgh durch den Kopf geht. Ja, früher fand ich den mal gut. Die alten Songs eigentlich immer noch …

13 Uhr 45

Sponline ist mal wieder topaktuell und liefert einen Sturmticker. Außerdem interessant für zum Beispiel Hausbesitzer: Versicherungstipps für Sturmgeschädigte.
Die größte Angst hatte ich ja als Kind immer vor herumfliegenden Dachziegeln. Ich bin bei stärkerem Wind immer ganz nah an der Hauswand langgelaufen, weil man da nicht so leicht getroffen werden konnte. Heutzutage habe ich eher Sorge, dass es mein Dach abdeckt.

14 Uhr 40

Kyrill ist pünktlich. Laut Aussage meiner Frau sollte es um 14 Uhr windiger werden (Radio) und seit fünf vor zwei pustet es hier schon ganz munter.

15 Uhr

Kleinbloggersdorf hält die Luft an. Weitere kyrillische Einträge bei Nerdcore, BatzLog oder im Hauptstadtblog.

16 Uhr

Mein IMAP-Server bei 1und1 ist schon wieder mal nicht erreichbar. Das geht schon seit Tagen, aber jetzt können sie es ja darauf schieben, dass ein Baum auf den Server gefallen ist.

Das fliegt bald weg

17 Uhr 20

Ich bin sehr gespannt, wie die Weihnachtsbeleuchtung vom Nachbarn morgen aussieht.

17 Uhr 50

Fürchterliche Szenen: Chaos, Verwüstung, zerfetzte Schienen, umgestürzte Waggons. Und ich muss alles aufräumen. Vielleicht hätte ich meinem Ältesten und seinem Freund doch nicht erlauben sollen, meine Lego-Eisenbahn aufzubauen. Ansonsten ist es draußen dunkel wie im Hinterteil eines winterschlafenden Bären und ich glaube langsam, der Sturm wurde etwas überbewertet.

18 Uhr 05

Flugzeuge hört man auch von Zeit zu Zeit noch fliegen. Freund H. hätte vielleicht doch mit dem Flieger nach Hause kommen können, anstatt den Zug zu nehmen, worum ihn seine besorgte Gattin gebeten hatte. Flugzeugen wirft es wenigstens keine Bäume vor die Nase. Bei Flügen im Sturm ist wohl auch nur Start und Landung betroffen. Warum während des Fluges nichts passieren kann, muss mir allerdings ein Strömungsphysiker oder so einer mal erklären.

18 Uhr 20

Es donnert. Das sind vielleicht gar keine Flugzeuge.

20 Uhr 30

Es waren tatsächlich keine Flugzeuge. Um 18 Uhr 30 gab es hier ein dickes Gewitter und Kyrill, der alte Schwerenöter, hatte offensichtlich seinen ersten Höhepunkt. Die Kinder sind in den Panic Room verfrachtet, will heißen, sie dürfen aus Geräuschgründen alle in einem Zimmer schlafen. Wir Eltern haben uns dann anschließend an der Tagesschau und dem Brennpunkt (es kommt immer ein Brennpunkt) delektiert. Am schönsten sind für uns seit jeher bei Wetterthemen die etwas verzweifelten Außendienstler der ARD mit ihren Puschelmikros und den Windundwetterjacken. Den Vogel schoss ein Ulli Meerkamm ab, dessen Frisur haargenau so aussah wie sein Puschelmikro – grau und zerzaust und in der gleichen Art den Widrigkeiten der Witterung unterworfen. Jetzt sitze ich hier und warte auf den zweiten Höhepunkt, der irgendwann am späten Abend oder des Nachts eintreffen soll.

20 Uhr 45

Das ist hoffentlich ein Witz, Olli! Sag, dass es ein Witz ist. Wenn nicht, habe ich gerade den ersten Berliner Sturmstromausfall live am Blog miterlebt:

„18.12: (sehr) nördliches Reinickendorf. Regen. Viel Regen. Ganz viel Regen. Aus allen Richtungen. Auch von unten, weil ich in eine Pfütze gehopst bin. Nein, nicht mit Absicht. Wind gibt es auch. Aber noch im Rahmen. Das Licht flackert. Das finde ich merkw“

Und dann verließen sie ihn. In Berlin-Rosenthal (nur unwesentlich weiter südöstlich) läuft noch alles. (Das muss ein Witz sein. Mister Zuckerbrot musste den Eintrag ja wenigstens abgeschickt haben.)

21 Uhr 50

So langsam geht das hier wieder los mit dem Regen und dem Wind. Sollte es tatsächlich erst um Mitternacht in Berlin so richtig rumpeln? Immerhin hat die Stadt heute (laut Sponline) schon 500 Feuerwehreinsätze hinter sich, von denen ich keinen einzigen gehört habe. Aber das soll ja auch alles im Süden stattfinden, das können sich die Provinzler ja nicht vorstellen, dass es in ein und derselben Stadt mehrere Wetterlagen geben kann.

22 Uhr 15

In Braunschweig passiert nichts mehr. Malcolm hat um neun rum aufgehört zu bloggen. Dafür geht an der Küste noch richtig was ab.

22 Uhr 40

Was Thomas Knüwer für das Land macht, erledigt der Tagesspiegel für die Hauptstadt mit seinem Leserreport: „Bin von einem Döner getroffen worden. Welcher Idiot isst bei diesem Wetter Döner?“ Weitere Aktualitäten aus Berlin bei Liz.

23 Uhr 15

Jetzt geht das aber noch mal los hier. Und ich wollte schon schlafen gehen. Hier unterm Dach hört sich der Wind noch mal schlimmer an, vor allem, wenn er direkt in die Heizungslüftung reinpustet. Das Fenster knackt auch schon ab und zu. Der Bus fährt aber noch. Glücklicherweise stehen hier in der Nähe keine großen Bäume. Freunde haben extra ihr Auto bei uns abgestellt, aus Sorge, auf ihrem Grundstück könnte der Baum beschließen, dem Autodach Hallo zu sagen.

23 Uhr 25

Es regnet wieder. Bö auf Bö. Insgesamt aber weit mehr als zwei. Regen ist gut. Ich habe das Gefühl, dann weht es etwas weniger. Seit über zehn Stunden an der Kiste. Kopfschmerzen. Stromausfall wäre fein.

23 Uhr 45

Okay, ich bin nicht so hart (oder vergnügungssüchtig) wie der Mann von der Küste, also habe ich nur mal den Kopf aus dem Fenster gesteckt. Nichts. Die Dächer sind noch gedeckt. Beim Nachbarn ist die Mülltonne umgefallen. Ich werde morgen wieder zur Arbeit fahren und schauen, wie es unserer Villa geht. Der letzte Wasserschaden ist noch nicht so lange her.

23 Uhr 50

Gute Nacht.

Durch den Monsun

Endlich habe ich eine Verwendung für die kleine Katastrophenschutz-Broschüre, die ich vor einige Wochen in der Bücherei mitgenommen habe. Kyrill kommt und er wird – wie weiland Anita 2002 – sich durch die Stadt prügeln wie ein besoffener neureicher Russe, der aus dem neueröffneten Cookies rausgeschmissen wurde. Ich bleibe heute daheim (DWD: "Unnötige Fahrten vermeiden") und nutze die Chance, einmal im Leben direkt aus einem Katastrophengebiet zu bloggen.

Tschüss, Basti

Es gibt Meldungen, die mir tatsächlich und nicht im übertragenen Sinn Tränen in die Augen treiben. Es war schon gestern, aber heute auf dem Weg zur Arbeit konnte ich noch einmal die Nachricht von Sebastian Deislers Ausstieg aus der Fußballszene in Ruhe verarbeiten.

Egal, was da noch für Gründe mitspielen, es scheint ja doch so zu sein, dass Deisler, den ich immer sehr sympathisch fand (obwohl er die Hertha verlassen hatte), genau eine Sache auf der Welt wirklich gut und gerne macht: Fußball spielen. Und das kann er jetzt nicht mehr.

Die Vorstellung, das, was ich selbst am liebsten mache und am besten kann, aufgeben zu müssen und mir irgendeine andere, zwangsläufig schlechtere und weniger motivierende Arbeit zu suchen, tut mir selbst in der Seele weh.

Also Basti, alles Gute, lass dich nicht von den Medien auffressen und such dir was, was länger hält als eine Fußballkarriere.

Wir sind Helden

Nochmal BPW-Kontaktabend. An der Säule mit den "Suche Partner/Biete Partner"-Zetteln stehen drei junge Leute. Sie könnten aus einem Enid-Blyton-Roman für Große stammen: Der Wortführer, auf smart getrimmter Student, neben ihm die Frau vons Ganze, mit einem strategisch eingesetzten Push-Up-BH, der wirkt, wie für diese Veranstaltung angeschafft, dahinter der Nerd, der wahrscheinlich die ganze wirkliche Arbeit macht.

Die drei wollen offenbar auch etwas anpinnen, sind sich aber noch nicht im Klaren, was sie schreiben sollen, und nutzen die Zwischenzeit, um zu so ungefähr jedem Zettel auf der Pinnwand einen gehässigen Kommentar abzugeben. "Guck mal hier, die wollen Kosmetik verkaufen." "Damit kann man Geld verdienen?!" "Da wird schon wieder dieser IT-Spinner ans Mikro geholt" und so weiter und so fort.

Ich habe die Drei dann mal genauer interviewt, weil ich so eine penetrant überhebliche, selbstherrliche, schnoddrige Art ü-ber-haupt nicht ertragen kann und diesen Nachwuchs-Darianis mal auf den Zahn fühlen wollte. Es stellte sich heraus, dass ihre Idee auch nicht viel besser war als die meisten anderen. Einen 24-Stunden-Kinderbetreuungsservice oder jemanden, der sich um demenzkranke Menschen kümmern will, halte ich für anspruchs- und sinnvoller als den Pseudo-Web-2.0-Widgetquatsch, den die vorhatten. Die Webseite ist dann auch noch hoffnungslos überdesignt und strotzt nur so von Rechtschreibfehlern.

Aber, ihr drei Helden, ich will nicht euren Fehler begehen und mich auch über euch lustig machen. Ich wünschte nur, ihr würdet eure vermutlich aus einer tiefen Unsicherheit resultierende Arroganz ablegen. Und stattdessen mal vorurteilsfrei auf andere Gründerinnen und Gründer zugehen. Macht sich besser. Finde ich zumindest.